Ein ungehöriger Zwischenruf von Carsten Hennig
Im Nachhinein waren etliche klüger: Schon im heißen Sommer 2017 zeichnete sich die Übermacht des milliardenstarken Netzwerkes ab. In Weltmetropolen wie Berlin und Zürich hatte die Airbnb Hospitality Group, wie sie sich erst einige Jahre später nennen sollte, mehr als doppelt so viele Betten im Angebot wie die Althotellerie. Damals noch als “Parahotellerie” verspottet, zeigten erste statistische Erhebungen die unheimliche Marktmacht des Non-Real-Estate-Konzerns, der rund zwanzig Jahre nach seiner unglaublichen Gründung in einer kalifornischen Garage – so die PR-Story – mit etlichen Übernahmen zum weltweit größten Bettenanbieter aufsteigen sollte. Die kürzlich erfolgte Übernahme des letzt verbliebenen Hotelkonglomerats HNA Hospitality, zu der neben InterContinential und Wyndham auch Hyatt und Choice nebst einigen europäischen Hotelketten gehört, markiert nur einen vorläufigen Höhepunkt des technologisch getriebenen Siegeszugs.
Analysten warnten Regierungen und Aktionäre von Immobilieninvestoren – Airbnb schaffte es stets, einen Börsengang zu vermeiden und machte jeden Frühinvestor zum Multi-Milliardär – vor den Risiken, doch nahezu alle übersahen den höchst disruptiven Kern der Strategie: Kommerzieller Bestand, sprich Spezialimmobilien wie Businesshotels, wurde soweit irgend möglich abgestoßen oder zu privaten Apartmenthäusern konvertiert. Die bis vor kurzem völlig unbekannte Marktgröße einer “Metropolen-Marktabdeckung” – gemeint ist der als Betten für Gäste vermietbare Wohnanteil in Straßenzügen bzw. Stadtvierteln – erreicht nun in Megaarealen wie Washington D.C.-Baltimore-Philadelphia-NYC annähernd neunzig Prozent. Die genaue Anzahl an Übernachtungsstätten – Betten in Apartments, Einzelzimmern oder WG-ähnlichen Heimstätten wie ehemaligen Privathotels – bleibt bis dato unbekannt ebenso wie die exakten Bezifferungen von vermittelten Nächtigungen oder gar vereinnahmten Provisionen und vermittelten Außenumsätzen.
Erstes Anzeichen für die unaufhaltsame erdrückende Übermacht hätten 2018 auch solche Randnotizen sein können: Studienabgängern namhafter Hoteluniversitäten, die sich nach Abschluss ihrer teuer finanzierten Managementstudien u.a. in Lausanne sofort mit einer von Ihren Eltern vorfinanzierten Kollektion an Studentenapartments selbstständig machten – und wenige Jahre nach Gründung ihres Start-ups ehemalige Kommilitonen für ihr dezentrales Bettenreich einstellten.
Ein weiterer Hinweis auf die alles verändernde Expansion von Airbnb hätte auch der damals, 2019, noch belächelte Branchenaward des “Real Hospitality Leaders” an einen jungen Airbnb-Vermieter, übrigens Spross einer alteingesessenen Hoteliersfamilie aus Österreich, sein können. Erstmals war nicht ein Newcomer der Old-Fashioned-Hotellerie geehrt worden, sondern ein Entrepreneur der “neuen Bettenindustrie”. Allerdings ging dem eine Vorgeschichte voraus: Bereits 2016 hatte dessen Business Angel, ein namhafter Hotelprofessor aus Deutschland, das erste “Airbnb-Hotel” in Wien mit begründet, damals noch als “Grätzl Hotel” mit dezentralen Ladenlokalen als Schlafstätten und einem zentralen Café als Rezeption in einem alten Stadtviertel der österreichischen Hauptstadt bekannt. Der Award „Real Hospitality Leaders“ gewann damit an weltweiter Bekanntheit und großer Reputation.
Erst am sog. “Black Friday”, wie der 28. Februar 2020 in die Annalen der Branchengeschichte eingehen sollte, wurden allen klar, was Sache sein würde: Erst- und einmalig hatte das Airbnb-Management Zahlen und Daten seines Imperiums bekannt gegeben, erdrückende Beweise für den nachhaltigen Erfolgs seines Schwarmmodells aus Hunderttausenden Einzelvermietern eine äußerst schlagkräftige Buchungszentrale zu formieren. Die Aktienkurse von “Marwood” & Co, den damals noch gerade so vor den chinesischen Verfolgern größten Hotelanbietern, waren an diesem schwarzen Freitag erbarmungslos in den Keller gerauscht und sollten nie mehr die bis dato erreichten Mittelwerte erreichen. Damals gab es dafür kaum Anzeichen, und die wenigen waren auch für erfahrene Branchenkenner nur schwer erkennbar, um rechtzeitig die Altpapiere der Offizialhotellerie abstoßen zu können. Die Verluste traditioneller Anleger und deren Schwächung für die folgenden Jahre stärkten die wagemutigen Investoren von Airbnb umso mehr – mit bekannten Folgen.
Airbnb Hospitality hat auch die früher abgeschottete Welt der Immobilieninvestoren aufgebrochen: Was einst Business der Hochfinanz oder bestens situierter Privatiers war, ist heute weltweit Zukunftssicherung für Millionen an Häuslebauern. Ungenutzte Kinderzimmer, ausgebaute Garagen und Dachgeschosse sowie auch rudimentär-romantische Gartenhäuschen machten viele, sehr viele Familien zu Hotelinvestoren und -betreibern. Wer noch bis Ende 2019 als Vermieter eine Partnerschaft mit Airbnb eingegangen war, konnte sich auf ein lebenslanges Provisionsmodell von gerade einmal drei Prozent verlassen. Spätere Airbnb‘ler müssen heute durchschnittlich 7,5 bis 9 Prozent vom getätigten Übernachtungsumsatz abziehen, was reibungslos von der Airbnb-eigenen Digitalbank erledigt wird (und ebenso örtliche Tourismustaxen und Einkommenssteuern separiert werden).
8. August 2028 – Beim heutigen Airbnb Partner-Kongress, zu dem mehr als 10.000 Vermieter und erfolgreiche Mittler in die chinesische Wirtschaftsmetropole Guangzhou eingeladen wurden, steht die Welturaufführung eines eigens für die nun dreißigjährige Unternehmensgeschichte inszenierten Reisemusicals, wie sie in der Tourismusvermarktung seit Jahren populär sind, an. Anschließend soll das aufwändigst choreografierte und von den besten Filmmusik-Kreateuren komponierte Bühnenstück weltweit auf Tournee gehen, jeweils an die meist gebuchten Airbnb-Destinationen inhaltlich angepasst. Dies verdeutlicht eines der verblüffenden Geheimnisse des Reisekonzerns: das Reiseziel in punkto Authentizität, Erlebnis, Event und Kulinarik zu vermarkten. Das hatten die Altanbieter der Hotellerie schon 2018, also zehn Jahre nach dem Start von Airbnb, gänzlich aus den Augen verloren. Mit bekannten Folgen…
Zum Autor: Carsten Hennig, Jahrgang 1970, widmet sich seit 20 Jahren der Tophotellerie und Spitzengastronomie als genauer Beobachter. Seine “ungehörigen Zwischenrufe” sorgen immer wieder für Kopfschütteln, harschen Widerspruch und noch besser: lebhafte Debatten. Stets verbergen die visionären Auslassungen einen wahren Kern, den aufmerksame Leser erkennen und daran ihre eigenen Folgerungen entspinnen.
E [email protected]
FB Messenger: Carsten Hennig
WA +49 151 17205583