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Negative Tourismusanalyse: Urlaubsfrust statt Reiselust – Reiseintensität sinkt erstmals seit 2010 – Unsicherheit erreicht Tourismusbranche – Mecklenburg-Vorpommern ist der Gewinner im Zehn-Jahresvergleich

Reiseintensität sinkt um drei Prozentpunkte auf aktuell 54 Prozent – Stärkster Rückgang bei der Generation “55 Plus” (− sechs Prozentpunkte) – Entgegen dem Trend stieg die Reiseintensität bei der mittleren Generation (35-54 Jahre) um zwei Prozentpunkte

Hamburg – Die Unsicherheit hat die Tourismusbranche erreicht. Erstmals seit Jahren sank die Reiseintensität der Deutschen. Zu diesem Ergebnis kommt die 32. Deutsche Tourismusanalyse der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Für die Studie wurde ein repräsentativer Querschnitt der deutschen Bevölkerung – über 4.000 Personen ab 14 Jahren – in persönlichen Interviews (face-to-face) zum eigenen Reiseverhalten befragt.

Ukrainekonflikt und VW-Skandal, Flüchtlingskrise und Terroranschläge von Paris bis Istanbul. All dies hat auch in der Tourismusbranche Spuren hinterlassen. Viele Bundesbürger sind zunehmend verunsichert und stellen die wichtigste Voraussetzung für den Urlaub überhaupt infrage: Die Sicherheit vor Ort. Insofern verwundert es nicht, dass erstmals seit der Finanzkrise die Reiseintensität der Deutschen rückläufig ist.

International betrachtet war 2015 hingegen ein erfolgreiches Jahr für die Tourismusbranche. Laut Welttourismusorganisation waren 16 Prozent der Weltbevölkerung auf Reisen – und damit mehr als jemals zuvor. Auch Deutschland konnte sich über einen Zuwachs an internationalen Besuchern freuen, was die abnehmende eigene Reiseintensität mehr als kompensierte.

Dennoch bleibt die Frage, wie es zukünftig weitergeht. Kann Deutschland seinen Titel als Reiseweltmeister zurückerobern? Werden sich Reiseströme und Urlaubsarten verändern und verschieben? Und wird das Reisen für die Mehrzahl der Bundesbürger auch in Krisenzeiten unverzichtbar bleiben?

Erklären lässt sich dieser Rückgang insbesondere durch die wachsende Unsicherheit der Bevölkerung im Hinblick auf Urlaub. Diese wird zum einen durch die (gefühlt) wachsende Zahl von Terroranschlägen geschürt, zum anderen zeigen die Untersuchungsergebnisse eine grundsätzlich zunehmende Zukunftsangst innerhalb der deutschen Bevölkerung. So geben aktuell 55 Prozent der Deutschen an, eher angstvoll in die Zukunft zu blicken. Hierbei zeigen sich besonders die älteren Bundesbürger skeptisch (rund zwei Drittel). Anlass zur Sorge gibt auch die Einschätzung der Deutschen zur wirtschaftlichen Entwicklung: Vier von fünf erwarten für 2016 eine Rezession in Deutschland. Bereits jetzt zeigen sie daher eine abnehmende Konsumlust und eine noch stärkere Preissensibilität. Beides betrifft hierbei nicht mehr ausschließlich den Versorgungskonsum, sondern wirkt sich auch zunehmend auf den Erlebniskonsum aus, zu dem auch die Urlaubsreise gehört.

Die Gründe für den Rückgang beim Anteil der Bevölkerung, der seine Haupturlaubsreise in Deutschland verbrachte, sind vielfältig. Für einige Bundesbürger war das wechselhafte Wetter im Sommer Grund genug, auf sonnensichere Urlaubsziele auszuweichen, andere nutzten die geringen Benzin- und Kerosinkosten, um ins Ausland zu verreisen und wiederum andere wählten deutsche Ziele eher für den Zweit- als für den Haupturlaub.

Die Gründe für die steigende Beliebtheit Mecklenburg-Vorpommerns sind hauptsächlich die neuere Infrastruktur, die natürlichen Gegebenheiten, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis sowie ein hoher Stammkundenanteil.

Auslandsreiseziele 2015: Spitzenreiter bauen Abstand aus
Sonne, Strand und Meer bleiben von zentraler Bedeutung für das Urlaubsglück. Krisen – wie in der Vergangenheit in Griechenland oder aktuell in der Türkei – führen zwar zu einer kurzfristigen Verschiebung von Reiseströmen, die grundsätzliche Beliebtheit und Attraktivität eines Urlaubsziels aber bleibt bestehen. Gerade im Vergleich zu Fernreisen behalten die Urlaubsdestinationen von der Atlantikküste bis an den Bosporus und vom Mittelmeer bis zu den Schären ihre Popularität, punkten sie doch durch eine kürzere Anreise, viele Stammgäste und eine vergleichbar hohe Urlaubsqualität.

Hauptgrund für den Rückgang in Österreich ist die Beliebtheit mediterraner Urlaubsziele und die Konkurrenz in Bayern. Frankreich „leidet“ an den nach wie vor begrenzten Pauschalangeboten, einem vergleichsweise hohen Preisniveau und einem geringeren Flugangebot als in andere touristische Feriengebiete.

Fernreisemarkt seit zehn Jahren stabil
Die nordafrikanischen Länder Ägypten, Marokko und Tunesien waren 2015 zwar weiterhin beliebt, bleiben aber abhängig von der jeweiligen politischen Lage vor Ort. Politische Unruhen und vermehrt auftretende terroristische Anschläge in dieser Region erklären den doch starken Rückgang der Urlauberzahlen für das Jahr 2015. Die tatsächliche oder auch nur gefühlte Unsicherheit war von größerer Bedeutung bei der Wahl des Urlaubsziels als Sonnengarantie, Gastfreundschaft oder ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Während zudem auch Destinationen im Mittleren Osten Einbußen verzeichneten, verreisten nahezu gleichbleibend viele Deutsche nach Amerika, vor allem in die USA und nach Kanada. Aufgrund der finanziellen Möglichkeiten des typischen Nordamerika-Touristen – in der Regel gehört er zu den Besserverdienenden – hatte auch ein schlechterer Wechselkurs zwischen Euro und Dollar kaum Auswirkungen auf die Beliebtheit von Reisezielen zwischen Florida und Kalifornien.

Die Gewinner des Fernreisemarktes 2015 waren Reisedestinationen in Asien (von 2,3 auf 2,6 Prozent innerhalb eines Jahres) und Mittelamerika bzw. der Karibik (von 1,6 auf 2,0 Prozent). Hierbei profitierten Reiseziele in der Karibik vor allem von der Unsicherheit in den sonst sehr beliebten Fernreisedestinationen am südlichen Mittelmeer.

Zahlreiche asiatische Urlaubsgebiete überzeugten viele deutsche Urlauber durch ihren mittlerweile hohen Standard – vom Hotel über die Verpflegung bis hin zum Transport. Hinzu kommen eine vielerorts beeindruckende Natur, zahlreiche kulturelle Sehenswürdigkeiten und ein insgesamt attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. All dies sind Faktoren, die von vielen Bundesbürgern in Bezug auf einen gelungenen Urlaub als wichtig bezeichnet werden.

Reisedauer 2015: Die Talsohle ist durchschritten – erstmals steigende Reisedauer
Für die steigende Reisedauer in 2015 sind zwei Gründe hauptverantwortlich: Erstens die überdurchschnittlich hohe Anzahl von Auslandsreisen, denn mit der Reiseentfernung stieg gleichzeitig auch die Anzahl der Übernachtungen vor Ort. Zweitens scheinen viele Bundesbürger die besten Wochen des Jahres nicht noch weiter verkürzen zu wollen. Lieber sparen sie bei der Anreise oder der Unterkunft und schränken sich bei den Ausgaben im Urlaub ein, als noch weniger Zeit vor Ort zu haben.

Weiterhin Bestand hatte in der vergangenen Reisesaison die Gleichung: Je weiter – desto länger – aber auch desto seltener. So verbrachten zwar die meisten Bundesbürger ihren Urlaub in den innerdeutschen Feriengebieten, verweilten hierbei jedoch lediglich 10,6 Tage vor Ort – wobei sie an den Küsten länger blieben als im Süden der Republik. Innerhalb Europas dauerte ein Urlaub 12,7 Tage und auch hier stieg mit der Entfernung die Verweildauer (z.B. Österreich 10,1 Tage, Türkei 13,7 Tage). Fernreisen fanden zwar am seltensten statt, dauerten dafür aber mit Abstand am längsten (17,3 Tage).

Reisekosten 2015: 88 Euro pro Tag und Person
Im vergangenen Jahr gaben die Bundesbürger durchschnittlich 1.109 Euro für ihren Haupturlaub aus. Im Vergleich zu 2014 stiegen die Gesamtkosten damit um 38 Euro pro Person, im Fünf-Jahresvergleich sogar um ganze 165 Euro (2010: 944 Euro) Tageskosten lagen im Durchschnitt bei 88 Euro pro Person.

Bei einer Analyse der Tageskosten (Gesamtkosten des Urlaubs geteilt durch die Anzahl der Urlaubstage) ist auffällig, dass ein Urlaub im Inland häufig teurer ist als die Ferien im Ausland. So geben beispielsweise Bayern-Urlauber durchschnittlich pro Tag etwas mehr aus als Türkei-Urlauber, an der Nordsee war ein Tag im Durchschnitt teurer als in Kroatien und auch im Schwarzwald zahlte man für einen Urlaub mehr als in Griechenland. Teurer als im Inland war der Urlaub hingegen im beliebtesten deutschen Auslandsreiseziel: Spanien. Dies erklärt sich zum einen durch die hohen Flugkosten auf z.B. die Kanarischen Inseln, zeigt aber zum anderen auch die grundsätzlich etwas höheren Preise in spanischen Destinationen.

Bei den totalen Kosten offenbart sich ein anderes Bild als bei den Tageskosten, da die Reisedauer variiert. So kostete eine Auslandsreise mit 1.254 Euro rund 450 Euro mehr als ein Urlaub in Deutschland (805 Euro) – dauerte aber im Schnitt auch zwei Tage länger. Wer zu denjenigen gehört, die gerne in die Ferne reisen, der musste 2015 mit über 2.000 Euro sogar zweieinhalbmal soviel ausgeben wie für einen Urlaub im Inland – allerdings dauerte der Urlaub dann auch 17 statt 11 Tage.

Reiseprognose 2016: Leicht abnehmende Reiseintensität
Die allgemein ansteigende Zukunftsangst kann auch 2016 für eine leicht abnehmende Reiseintensität bei den Bundesbürgern sorgen. Das Interesse an Urlaub und die Faszination fürs Reisen bleiben dabei aber auch zukünftig unverändert hoch. Doch die humanitäre Krise, die nun nicht mehr außerhalb der europäischen Grenzen stattfindet, sondern direkt vor der eigenen Haustür erlebbar wird, der Terrorismus, der Urlaubsorte und unschuldige Touristen zum Ziel nimmt, sowie ungelöste wirtschaftliche Fragen veranlassen jetzt schon mehr als jeden fünften Bundesbürger dazu, für 2016 keinen Urlaub zu planen.

Hinzu kommt jedoch noch die große Anzahl derjenigen, die noch unsicher sind, ob sie dieses Jahr ihre Koffer packen werden. Mehr als jeder Dritte würde zwar grundsätzlich gerne verreisen, weiß aber noch nicht genau, ob er sich diesen Wunsch bis Ende 2016 auch erfüllen kann. Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass etwa jeder dritte Unentschlossene im Laufe des Jahres in den Urlaub fahren wird. Jedoch könnte der Zukunftspessimismus in diesem Jahr dazu führen, dass es etwas weniger Bürger sind, die ihr bekanntes Umfeld für wenigstens fünf Tage verlassen. Insofern deutet einiges darauf hin, dass die Reiseintensität 2016 das Niveau des Vorjahres nicht ganz erreichen wird.

Reiseziele 2016: Sicherheit entscheidet über Reiseströme
Für die große Mehrheit der Deutschen mit festen Reiseabsichten beginnt schon jetzt die genaue Planung für die besten Wochen des Jahres. Dies ist positiv zu bewerten, da Planungsstress und Entscheidungsnot geringer sind und Vorfreude ja bekanntlich die schönste Freude ist. Bei den Reisezielen können die innerdeutschen Feriengebiete mit einer konstanten Gästezahl rechnen. Schon jetzt ist sich jeder vierte Bundesbürger sicher, seinen Urlaub zwischen Flensburg und Freiburg zu verbringen. Erneut werden es besonders die älteren Gäste und Familien sein, die den Hotels und Pensionen ausgebuchte Betten bescheren.

Innerhalb Europas wird es zu leichten Veränderungen kommen. Populär bleiben Spanien und Italien und auch Griechenland kann tendenziell Zuwächse erwarten. Zurückhaltender sind derzeit noch die Türkeibuchungen – hier werden die kommenden Monate zeigen, ob verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Sollte es jedoch zu negativen Meldungen kommen, werden die Bundesbürger auf andere mediterrane Ziele ausweichen.